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Bierkartell

Vor 1900 gab es in der Schweiz 530 Brauereien und entsprechend war die Konkurrenz, auch aufgrund der eintretenden Modernisierungen, gross. Zudem machte sich die ausländische Konkurrenz spürbar und die Importe wuchsen. Beide Weltkriege stellten den Schweizer Braumarkt vor grosse Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund setzte sich die Meinung durch, dass ein weiteres Überleben der Brauereien nur durch eine geregelte Marktordnung möglich sei. Die Konvention der schweizerischen Brauereien trat am 1. März 1935 in Kraft. Sie baute auf den Kundenschutzverträgen und anderen Abmachungen auf, wie sie seit 1907 immer wieder mit Unterbrüchen bestanden hatten. Sie war quasi eine Zusammenfassung und straffere Form der bestehenden Kundenschutz-, Bierpreis-, Stammwürze- und Surrogatverträge. Die Vereinbarung sollte eine vernünftige Rationalisierung ermöglichen, indem sie dazu betragen sollte, ungesunde Wettbewerbsformen zu beseitigen, geregelte Absatzverhältnisse innerhalb der Branche herzustellen und ein gutes kollegiales Verhältnis unter den Marktbewerben zu schaffen.

In der von Korporativismus geprägten Zwischenkriegszeit waren solche Konventionen oder Kartelle keine Seltenheit. Die Wirtschaftsverbände hatten durch die vielen Regulierungen im Ersten Weltkrieg eine Schlüsselposition als Ansprechpartner des Bundes aufbauen können. Zudem lernten die Unternehmen gewisse Regulierungen zu schätzen, gerade in Bezug auf den Schutz vor massenhaften Importen. Die Selbstorganisation der verschiedenen Branchen wurde begrüsst und die Regulierungen als volkswirtschaftlich positiv bewertet. In der Weltwirtschaftskrise erhoffte man sich von einer Perfektionierung der Kooperationen wirtschaftliche Besserung. Wenn die Brauereien versprachen, Betriebe und Arbeitsplätze zu erhalten, weiterhin eine relativ grosse Steuerbelastung zu schultern und der Bevölkerung billiges und gutes Bier anzubieten, hatten in dieser Situation weder Behörden noch Bevölkerung etwas einzuwenden. Nach den vielen Betriebsschliessungen und Entlassungen wurde die Einschränkung einer gewissen Marktdynamik gerne hingenommen, ja sogar begrüsst.

Mit der Verankerung der Handels- und Gewerbefreiheit in der Verfassung von 1874 waren wettbewerbsbeschränkende Verträge nicht grundsätzlich untersagt. Kartelle waren im weitesten Sinn sogar verfassungsmässig abgesichert. Trotzdem war sich der Bund der Gefahr von Missbräuchen, insbesondere in der Preisgestaltung, bewusst und schuf 1927 im Volkswirtschaftsdepartement die Preisbildungskommission. Diese übte trotz fehlender Sanktionsmacht offenbar eine mässigende Wirkung auf die Kartelle aus. Die Preisbildungskommission des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements stellte 1938 in ihrer Veröffentlichung über Kartelle und kartellartige Abmachungen in der Schweiz (Nr. 19) jedenfalls fest: «Das Brauerkartell ist aus einer Konkurrenznotlage der Industrie entstanden und nicht aus Preisübermut.» Das Bierkartell war nie ein Preiskartell, sondern ein Kostenkartell. Um schweizweit Bier zu billigen Preisen anbieten zu können, wurden alle jene Elemente des Wettbewerbs ausgeschaltet, welche Mehrkosten verursacht hätten. Der Profit wurde nicht mit gesteigerten Einnahmen durch überhöhte Preise erzielt, sondern in erster Linie aufgrund tief gehaltener Ausgaben.

Das Bierkartell sah sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von mehreren Seiten bedroht und wurde kritisiert. Einige neu gegründete Brauereien traten dem Kartell nicht bei und Volksabstimmungen machten dem Bierkartell zu schaffen. Nachdem mehrere grosse Brauereien aus dem Kartell austraten, lief die Konvention 1991 aus.